Düngeverordnung-Urteil belebt Bürokratie-Debatte

Henrik Rump (links) als Vorsitzender und Henning Jensen als Geschäftsführer führen gemeinsam mit ihren Pendants aus dem Landkreis Harburg, Wilhelm Neven und Werner Maß, den Landvolk Kreisverband Lüneburger Heide.

Es knallten keine Sektkorken. Gefeiert wie sein Namensverwandter einen Monat zuvor wurde der Tag nicht. Am vergangenen Freitag war „Gülle-Silvester“. Um Mitternacht endete die durch die Düngeverordnung festgelegte Sperrfrist zur Ausbringung stickstoffhaltiger Dünger auf Acker- und Grünlandflächen. Darauf haben viele Landwirte ungeduldig gewartet, insbesondere Viehhalter, deren Lagerkapazitäten nach dem Winter ausgeschöpft sind.

Für etliche dieser Betriebe hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg in der vergangenen Woche eine wichtige Entscheidung gefällt, indem es die Ausweisung sogenannter roter Gebiete mit zu hoher Nitratbelastung nach der Landesdüngeverordnung in Teilen für unwirksam erklärte. Davon betroffen sind auch Landwirte aus Heidekreis, die innerhalb dieser „roten Flächen“ wirtschaften. Zwar sei es grundsätzlich möglich, Gebiete auszuweisen, in denen Landwirte weniger düngen dürfen als anderswo, räumen die Richter ein. Die roten Gebiete seien in Niedersachsen jedoch fehlerhaft ermittelt worden. 2020 war im Bundesrat eine verschärfte Düngeverordnung beschlossen worden, für deren Umsetzung die Länder verantwortlich sind. Das Gericht hat jetzt erkannt, dass die in diesem Bundesland angewandte Methode zur Ermittlung dieser Gebiete nicht im Einklang mit Vorgaben der bundesrechtlichen Düngeverordnung steht.

Auf die aktuelle Praxis hat der OVG-Spruch keine Auswirkungen, betont Henning Jensen. Die bisherigen Regeln gelten weiter. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, so der Landvolk-Kreisgeschäftsführer auf der Schneverdinger Bezirksversammlung. Das Land kann Revision einlegen, über die dann das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hätte. Das könne nochmal bis zu eineinhalb Jahre dauern. Dennoch findet das Urteil in Landwirtschaftskreisen Beachtung. Das liegt auch am Zeitpunkt knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl: Die Düngevordnung ist umstritten. Aus Sicht der Landwirte und ihrer Berufsverbände steht sie wie viele weitere Gesetzte und Verordnungen für eine überbordende Verbots- und Regulierungsspraxis durch Land, Bund und EU, die die Möglichkeiten zu wirtschaften erheblich einschränkten und zudem einen immer höheren Zeitaufwand für die Dokumentation mit sich bringen.

Die Forderung nach einem nachhaltigen Bürokratieabbau war neben der angekündigten Abschaffung des subventionierten Agrardiesels vor rund einem Jahr ein Auslöser für die bundesweiten Bauernproteste mit Traktor-Konvois. Die daraufhin von der Bundesregierung gemachten Zusagen seien allenfalls ansatzweise umgesetzt worden, moniert Landvolk-Kreisvorsitzender Henrik Rump: „Da muss noch viel mehr kommen.“

Besser auf dem Acker als am Schreibtisch

Die Ampel muss weg“ war eine Forderung, die bei den bundesweiten Protesten der Landwirte vor einem Jahr oft an den PS-starken Traktoren zu lesen war, mit denen sie auch im Heidekreis in kilometerlangen Konvois für Aufmerksamkeit und Stillstand auf den Straßen und in den Städten sorgten. Die Dreierkoalition ist Geschichte, am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Protestziel erreicht, also? „Natürlich nicht“, widerspricht Henrik Rump. „Ziel war nicht die Ablösung der Ampelregierung, sondern eine andere, bessere Agrarpolitik“, stellt der Vorsitzende des Landvolk-Kreisverbands Lüneburger Heide klar. Er räumt ein, dass Agrarpolitik ein schwieriges Feld sei, „die Quadratur des Kreises“. Da habe sich auch seine Partei, die CDU, in der Vergangenheit nicht immer mit Ruhm bekleckert, wenn sie in der Regierungsverantwortung war und das Landwirtschaftsministerium leitete. Aber die Ampel habe es in den zurückliegenden Jahren besonders schlecht gemacht, findet Rump.

Die Zustimmung in der Bevölkerung für die Proteste sei groß gewesen, konstatierte Landvolk-Kreisgeschäftsführer Henning Jensen bei der vom dortigen Vorsitzenden Ruben Dehning geleiteten Versammlung des Landvolk-Bezirksverbands Schneverdingen. Bei einer repräsentativen bundesweiten Umfrage 65 Prozent der Befragten Verständnis für die Aktionen der Landwirte geäußert. Einige Erfolge habe es gegeben macht Dehning in seinem Rückblick deutlich: So bleiben die Grünen Kennzeichen, das Steuerfreiheit für landwirtschaftliche Fahrzeuge bedeutet, erhalten. Die Höfeordnung wurde nach den Vorstellungen des Verbands. Agrardiesel gibt es zwar noch, aber weniger und nur noch auf drei Jahre begrenzt. Er ist ein Auslaufmodell. Von einem Bürokratieabbau, einer zentralen Forderung des Protestwinters, ist wenig zu spüren.

Planungssicherheit und weniger Bürokratie

Wieder mehr Wertschätzung für die Landwirtschaft möchte die mit knapp 2000 Mitgliedern im Heidekreis und insgesamt etwa 4000 im Verbandsgebiet mit dem Kreis Harburg größte Interessenvertretung des ländlichen Raumes erreichen, Planungssicherheit, Verlässlichkeit von Gesetzen und vor allem Entbürokratisierung, „damit die Landwirte wieder mehr Zeit für die Arbeit auf dem Acker und im Stall haben und nicht am Schreibtisch sitzen müssen“, sagt ihr Sprecher. Das vom SPD-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil angekündigte Bürokratie-Abbaupaket bezeichnet er als „nebulös“. Beispielhaft nennt Rump den Aufwand zur Ermittlung der Stoffstrombilanz, die Nährstoffflüsse (Stickstoff und Phosphor) in landwirtschaftlichen Betrieben transparent und überprüfbar abbilden soll. Da gebe es Doppel- oder sogar Mehrfachstrukturen, weil mehrere Behörden- und Verwaltungsebenen beteiligt seien. Da ließe sich ohne großen Aufwand einiges glätten. „Man muss das Rad dafür nicht neu erfinden“, sagt Rump und liegt dabei auf einer Linie mit der Dachorganisation.

Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, fordert grundlegende Veränderungen für die kommende Legislaturperiode, „einen echten Wechsel in der Agrarpolitik. Wir benötigen Wettbewerbsgleichheit in Europa, ohne nationale Alleingänge und endlich einen wirksamen Bürokratieabbau für unsere Betriebe sowie Planungssicherheit. Ernährungssicherheit – insbesondere in diesen unsicheren Zeiten – ist nur möglich mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen für eine starke und wettbewerbsfähige heimische Landwirtschaft.“

Zur Bundestagswahl hat der Bauernverband seine Vorstellungen „zur praxistauglichen Gestaltung der Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft“, wie er es formuliert, in zehn Kernanliegen zusammengefasst. Da steht die Forderung nach der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft im europäischen Binnenmarkt durch ein umfassendes Bürokratie-Entlastungs- und Wettbewerbsstärkungsprogramm mitsamt einer tragfähigen Lösung beim Agrardiesel weit vorn. Der Landvolkverband hat das 10-Punkte-Papier an alle Kandidatinnen und Kandidaten im Bundestagswahlkreis 35 Rotenburg I – Heidekreis verschickt, in der Hoffnung und Erwartung, dass sie es „verinnerlichen und verstehen“, wie es der Vorsitzende formuliert. Den Vorhalt, dass die Landwirte sich gegen Auflagen, die dem Klimaschutz dienen sollen, per se stemmen würden, obwohl sie doch die Auswirkungen des Klimawandels stärker als andere gesellschaftliche Gruppen zu spüren bekommen, will Rump nicht gelten lassen – ein pauschaler Vorwurf sei das, „mit viel Ideologie dabei“ – vor allem aus einem politischen Lager. Dagegen setzt das Landvolk bei diesem Thema auf „Biodiversität und Naturschutz ohne Ordnungsrecht und Verbotspolitik“ und schlägt vor, dafür eine Art Gesellschaftsvertrag zu schließen: „Da könnte der Niedersächsische Weg als Vorbild dienen.“ Gemeint ist die Vereinbarung, mit der Landesregierung, Landvolk, Landwirtschaftskammer sowie Natur- und Umweltverbände sich gemeinsam zu großen Anstrengungen bei Natur- und Artenschutz, bei Biodiversität und beim Umgang mit der Ressource Landschaft verpflichten.

Wie ist drei Wochen vor der Wahl die Stimmung auf den Höfen? „Nicht gut“, so Rumps Eindruck nach vielen Gesprächen mit Berufskollegen vor Ort und bei der Grünen Woche vergangene Woche – wenig Optimismus und keine Aufbruchstimmung. Es werde kaum noch investiert, Fördermittel würden nicht in Anspruch genommen, weil Planungssicherheit – „mindestens für 10 Jahre“ – fehle. Deshalb brauche es verlässliche Standards, zum Beispiel beim Stallbau, weil keiner bereit sei, sechs- oder sogar siebenstellige Beträge zu investieren, wenn er damit rechnen müsse, dass in einem oder zwei Jahren neue Tierschutzgesetze und -auflagen den Betriebszweig infrage stellen.

„Könnten wieder auf der Straße sein“

Protestaktionen wie vor einem Jahr seien derzeit keine Option. „An wen sollte sie sich denn richten?“ Die nur noch geschäftsführend im Amt verbliebene Minderheitsregierung sei nicht mehr handlungsfähig. „Im Moment sollte man also nicht drohen, sondern erst einmal auf die neue Verantwortlichen und ihre Agrarpolitik warten.“ Dann erwarte man aber schnell klare Ansätze von der neuen Regierung. „Und wenn wir merken, damit kommen wir nicht zurecht, könnten wir wieder auf der Straße sein.“

„Wir brauchen vernünftige Politik in allen Bereichen und die muss wirklich was leisten“, verweist der Chef des Heidekreis-Landvolks auf den richtungweisenden Charakter der bevorstehenden Bundestagswahl – nicht nur für die deutsche Landwirtschaft, sondern gesamtgesellschaftlich. An die Mitglieder des Bezirksverbands Schneverdingen appelliert er in dieser Woche, ihr Recht am 23. Februar in Anspruch zu nehmen und zu wählen – welche Partei, da macht er bewusst keine Aussage. Nur so viel: Es sollte eine demokratische sein.

Gegen Bodenspekulation, für Wolfsmanagement

Neben dem Bauernverband, dessen niedersächsischer Mitgliedsverband das Landvolk ist, existieren verschiedene kleinere agrarische Berufsverbände. Speziell den Bio-Sektor vertritt etwa der Anbauverband Bioland, dessen Landesverband seinen Sitz in Visselhövede hat. Im Heidekreis gehören dem Verband 26 Betriebe an. Als Ergebnis einer Wintertagung am 13. Januar in Hermannsburg wurden vier Forderungen an die Politik formuliert:

▶ Aussetzung der Einkommenssteuer für ökologisch wirtschaftende Betriebe, bis das EU-Ziel von 25 Prozent Ökolandbau erreicht ist

▶ Sicherstellung des exklusiven Zugriffs landwirtschaftlicher Betriebe auf landwirtschaftliche Flächen, unter anderem durch die Einführung eines Boden-Transparenzregisters

▶ Bekämpfung von Bodenspekulation mithilfe der Grunderwerbssteuer

▶ Eine nationale Strategie für Ernährung und Klimafolgenanpassung

Der Bioland-Bundesverband fordert ferner, Umweltleistungen der Landwirtschaft durch Bürokratieabbau zu belohnen, die Verdoppelung der Öko-Anbaufläche innerhalb der kommenden Legislaturperiode, die Anhebung öffentlicher Forschungsgelder für den Ökolandbau, eine gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft sowie ausreichende Mittel im Bundeshaushalt für den Umbau von Ställen für mehr Tierwohl. Da chemisch-synthetischer Planzenschutz nicht nur die Umwelt schädigt, sondern auch hohe Folgekosten etwa für die Aufbereitung von Trinkwasser verursacht, sollten Abgaben auf mineralischen Stickstoffdünger und chemisch-synthetische Pestizide erhoben und die Einnahmen zur Förderung umweltverträglicher Wirtschaftsweisen verwendet werden. Der Schutzstatus des Wolfes soll gesenkt und die Ausbreitung durch Jagd reguliert werden. „Die starke Vermehrung der Wolfspopulation sowie einzelne übergriffige Wölfe“ bedrohten die besonders naturverträgliche Weidehaltung existenziell. Die Kosten für Herdenschutzmaßnahmen sollten übernommen und Kompensationszahlungen für Nutztierrisse schneller und unkomplizierter gewährt werden.

 

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