Klima-Farming wird in Wolterdingen und Frielingen getestet
Folgt man Professor Dr. Georg Guggenberg von der Leibniz-Universität in Hannover, müssten mehr Äcker in Grasland umgewandelt werden. Denn Grasland, so die wissenschaftliche Erkenntnis, speichert sogar mehr Kohlenstoff als der Wald.
Natürlich ist das nicht umsetzbar. Guggenberg wirbt daher für Veränderungen bei der Bodennutzung, um Klimaschutz und Landwirtschaft gleichermaßen gerecht zu werden. Angesichts der derzeitigen Dürre ist sich Guggenberger sicher, dass das so bleibt, wahrscheinlich sogar schlimmer wird.
Erfahrungen, wie unter diesen Bedingungen Böden verbessert werden und gute Ernten gelingen können, hat der Experte in Kasachstan gesammelt. Jetzt will er diese Erkenntnisse weitertragen, aber vor allem zehn Praxisbetriebe in Niedersachsen, zwei davon im Heidekreis, bei der Erprobung von nachhaltigen, klimaschonenden Anbaukonzepten begleiten. Ziel des Projektes namens Klima-Farming ist eine Humus-fördernde Bodenbewirtschaftung und die Umsetzung neuer Geschäftsmodelle zur Honorierung der Klimaleistung.
Koordiniert wird Klima-Farming vom 3N Kompetenzzentrum Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie mit Sitz in Bad Fallingbostel. Finanziell steht das dreijährige Versuchsvorhaben seit Mitte der Woche auf sicheren Füßen. Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) übergab auf dem Eggershof in Ellingen an die 3N-Koordinatoren in Höhe von 940000 Euro.
„Der Klimawandel ist längst da und mit ihm die Herausforderung für die Landwirtschaft“, erklärt die Ministerin. Mit Klima-Farming sollen Handlungsempfehlungen für die Landwirte abgeleitet werden, um den langfristigen Humusaufbau im Boden zu fördern, um Kohlenstoff im Boden zu speichern und die Biodiversität zu sichern.
Landrat Jens Grote ist stolz darauf, dass gleich zwei Modellbetriebe aus dem Heidekreis bei dem Leuchtturmprojekt mitmachen, die Familien von Felde aus Wolterdingen und von Frieling aus Frielingen: „Der Pioniergeist ist da“, freut er sich, weist aber auch darauf hin, dass der wirtschaftliche Erfolg weiterhin gesichert werden müsse. Das sieht auch Otte-Kinast ähnlich: Sie hob aber insbesondere „das bundesweite Alleinstellungsmerkmal“ des Fasernesselbetriebs in Frielingen hervor.
Scharfe Kritik hört die Ministerin in diesen Tagen vor allem von den Landwirten in den Schutzgebieten auch im Heidekreis, die vom Totalverbot sämtlicher Pflanzenschutzmittel betroffen sind.
Am Mittwoch freute sie sich über andere Stimmen: „Die Düngeverordnung ist kein Problem“, erklärte Landwirt Burkhard Fromme aus dem Kreis Helmstedt, der seit zehn Jahren unter anderem pfluglos wirtschafte und weniger dünge, nun beim Klima-Farming dabei ist: Er forderte allerdings mehr Geld für Ausbildung und Beratung.
Veganes Schlafen mit der Brennnessel
Noch in den 1950er-Jahren hätten alle gewusst, wie man Humus auf den Feldern aufbaut. „Vielleicht müssen wir es jetzt wieder lernen“, erklärte Dr. Ernst Kürsten vom 3N Kompetenzzentrum Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie mit Sitz in Bad Fallingbostel.
Dabei sind zumindest einige der zehn Betriebe, die sich jetzt am Projekt Klima-Farming des Landes Niedersachsen beteiligen, schon teils einen großen Schritt weiter. Viele arbeiten pfluglos, um die Humusschicht mit ihrer so wichtigen Biodiversität und Kohlenstoffspeicherfähigkeit zu erhalten und/oder stellten ihren Anbau auf unterschiedlichste Fruchtfolgen um. Dazu gehört auch der Hof der Familie von Felde in Wolterdingen.
Bei der Schweinemast hat die Familie kürzlich von konventioneller Haltung auf Stroh umgestellt, wie Thees-Heinrich von Felde am Mittwoch bei der Vorstellung des Klima-Farming-Projektes Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) erläuterte.
Pfluglos arbeiteten sie bereits seit 2005 mit positiven Erfahrungen. Erfolge gebe es mit den Zwischenfrüchten, und in diesem Jahr habe man erstmals Lupinen angebaut. Raps, eigentlich im Heidekreis in den Mais- und Weizen-dominierten Feldern völlig ungewöhnlich, soll folgen. Nun gehe es darum, zu testen, wie sich die neue Herangehensweise für den Boden und den Ertrag auszahle.
Seit gut 15 Jahren sammelt die Landwirtsfamilie von Frieling in Soltaus Ortschaft Frielingen Erfahrungen mit der Brennnessel. Auf fünf Hektar wachsen in diesem Jahr die Pflanzen, inzwischen wurde auf ökologischen Anbau umgestellt, um die Faser besser zu vermarkten.
Dass Anbau, Ernte, Lagerung, Verarbeitung, Vertrieb und letztlich die Wirtschaftlichkeit kein Selbstläufer sind, erläuterte Claas von Frieling der Ministerin direkt vor Ort in der prallen Sommerhitze.
Die Brennnesseln werden gepflanzt und sind eine Dauerkultur, die lange auf den Feldern steht. Ökologischer Anbau beschrieb von Frieling als sehr schwierig, da viele Gräser dazwischen wüchsen, die Sortenreinheit bei der Ernte schlecht gegeben sei. Und in diesem Jahr habe man zudem gelernt, dass auch Beregnung nicht unbedingt den Ertrag steigert.
Letztlich gehe es darum, die Kosten des Anbaus zu senken und die Faserausbeute zu erhöhen, um überhaupt am Ende einen Ertrag zu erwirtschaften, erläuterte 3N-Projektmitarbeiterin Dr. Marie-Luise Rottmann-Meyer. Ähnliche Probleme gebe es beim Hanfanbau. Letztlich sei alles stark vom Standort und der Niederschlagsverteilung abhängig.
Die Brennnesselfasern der Familie von Frieling werden geerntet und müssen zunächst trocknen und auf den Feldern mindestens 14 Tage rösten, wie der Claas von Frieling erläuterte. Dabei sei Regen kein Problem, damit komme die Röstung erst richtig in Gang, ein paarmal werde die Pflanzen ähnlich wie Heu gewendet, damit das UV-Licht von allen Seiten herankomme.
Nur so lasse sich die Faser vom Holzanteil des Stängels lösen. Danach werden die Fasern in einem Betrieb bei Waren/Müritz mechanisch aufbereitet und schließlich nach Krefeld zur Weiterverarbeitung geliefert.
„Es ist immer noch ein Versuchsstadium“, erklärt Rottmann-Meyer zum Brennnessel-Anbau in Frielingen. Das bestätigt auch Claas von Frieling, für den natürlich die Wirtschaftlichkeit wichtig ist. Zudem arbeite man aktuell am Ökozertifikat. „Und dann brauchen wir die richtigen Mengen“, erklärt er. Denn der Absatzmarkt für das Bioprodukt sei durchaus vorhanden.
Die Nessel zeichne sich durch Feinheit, Reißfestigkeit und Elastizität aus. Sie werde unter Druck gebleicht, schließlich abgekocht und zu feinen Garnen versponnen. Gefragt ist die Naturfaser beispielsweise in der Medizinbekleidung oder bei Allergikern. Auch „veganes Schlafen“ sei Thema. Die Faser sei anders als Daunen in der Waschmaschine waschbar.
In diesen Tagen sollen die Felder in Frielingen abgelernten werden. Danach wachsen die Pflanzen wieder, frieren ab und treiben im kommenden Jahr erneut aus. Wichtig ist der Landwirtsfamilie mit Blick auf Klima-Farming, dass durch die Dauerkultur der Humus aufgebaut und im Boden gehalten wird.
„Wir gucken genau, was passiert im Boden, ob es Effekte für die Biodiversität und sonst die Umwelt gibt. Und wir schauen, ob man das auch monetär fassen kann“, so 3N-Mitarbeiterin Rottmann-Meyer.
In drei Jahren erhoffen man sich fundierte und wissenschaftlich begleitete Erkenntnisse. Die Wissenschaftlerin ist sich jedenfalls schon jetzt sicher: „Bevor wir vier Prozent der Flächen stilllegen, können wir auch solche ökologische Kulturen anlegen und haben einen besseren Nutzen.“ Man brauche schließlich auch selbstproduzierte Rohstoffe und könne sich nicht darauf verlassen, dass China und andere Länder auf Dauer lieferten.
Das unterstreicht auch von Frieling, der erklärt, dass der Baumwollanbau 60 Prozent mehr Wasser als der der Brennnessel erfordere. Für den Besucher sei aber etwas anderes bereits jetzt schon augenfälliger, beschreibt Claas Vater Hans-Michael von Frieling seine Erfahrungen: Heupferde sehe er in den Brennnessel-Feldern zu Zigtausenden. „Die leben hier von den vielen Insekten“, sagt er stolz. Im Getreide beim Dreschen sehe man höchstens ein oder zwei dieser großen grünen Schrecken.