Fiese Abzocke mit Steinreinigung
Bispingen/Soltau/Munster/Visselhövede. Die 88-jährige Kriemhilde Bachinger ist noch immer empört. Mitte August hat sie der Böhme-Zeitung eine beiliegende blaufarbige Werbung entnommen, mit der ein Dienstleister „Stein- und Pflasterreinigung“ anbietet. 35 Prozent Rabatt soll es in den ersten fünf Tagen geben – ein Lockangebot.
Die Werbung weist eine Firma Krüger mit Sitz in der Munsteraner Wilhelm-Bockelmann-Straße aus. Auch die angegebene Rufnummer hat eine Munsteraner Vorwahl.
Nach dem Tod ihres Mannes – und weil der bei ihr wohnende Sohn Gerald (64) beruflich stark eingebunden ist – ist auf dem Grundstück der Bachingers viel liegengeblieben. Unkraut hat sich auf den Gehwegen breitgemacht, einige Platten müssen wieder mit Kies unterfüttert und eben gesetzt werden, auch die Hecke zum Nachbargrundstück bedarf eines tüchtigen Rückschnitts, am Haus bröckelt an einigen Stellen der Putz, und Pflanzsteine aus Beton sind in vier Reihen aus der Form geraten und bedürfen eines neuen Anstrichs – viel zu tun im Außenbereich der Bachingers.
Kriemhilde Bachinger nutzt die Werbung, um die Sache anzugehen, die Ästhetik des Gartens und am Haus wieder herzustellen – und ruft die „Stein- und Pflasterreinigung Krüger“ an. Nur einen Tag später fährt die Firma mit einem Mietwagen vor. Ein Mann verspricht, die Arbeiten in die Hand zu nehmen, die Gehwegplatten sogar mit einem besonderen „Nano-Langzeitschutz“ zu versehen.
Kriemhilde Bachinger hat das Gefühl, die Arbeiten in professionelle Hände zu geben. Dass sie den Auftrag an den Anbieter vergeben hat, das bereuen die Bachingers heute allerdings und wollen andere Hausbesitzer vor den unlauteren Machenschaften der Gehwegreiniger warnen.
Kaum zwei Tage sind zwei Mitarbeiter der Firma auf dem Grundstück der Bachingers zugange. Doch während einer draußen ein wenig die Gehwegplatten reinigt, läuft ein zweiter Mitarbeiter wie selbstverständlich durch das Haus und fotografiert jedes Zimmer. Während ihr Sohn auf Arbeit ist, kann sich Kriemhilde Bachinger nicht gegen das merkwürdige Verhalten wehren.
Gezahlter Betrag übersteigt Wert um ein Vielfaches Nach zwei Tagen – die mit einem Mietwagen angereisten Arbeiter haben ausschließlich das Gehwegpflaster von Moos befreit und etwas Grünschnitt an der Hecke getätigt, dabei ohne nachzufragen das Werkzeug der Bachingers benutzt – macht der Firmeninhaber seine stolze Rechnung auf. Satte 7500 Euro will er für die erledigten und noch offenen Arbeiten haben. Nach Einschätzung der BZ-Redaktion überschreiten die tatsächlich ausgeführten Arbeiten einen Höchstwert von 500 Euro nicht.
Wären sämtliche vereinbarten Arbeiten ausgeführt worden, lägen diese in einem Wertbereich von rund 2500 Euro, also weit unterhalb des angesetzten Preises.
Die Polizeiinspektion Heidekreis kennt solche dubiosen Geschäfte. „Die Erscheinungsformen sind vielfältig“, weiß Polizeisprecher Olaf Rothardt. Eines aber eine sie alle, „der Preis am Ende der häufig unzulänglich durchgeführten Arbeiten liegt über dem vereinbarten Preis und ist viel zu hoch.“ Der Preis spreche in der Regel für eine Erfüllung des Straftatbestands des Wuchers nach Paragraf 291 des Strafgesetzbuches (StGB), so Rothardt.
Auch Gerald Bachinger erkennt die Situation, geht von einem völlig überzogenen Preis aus. Er weigert sich deshalb zunächst, das geforderte Geld zu zahlen. Doch daraufhin bedroht der Firmenchef Bachinger. „Denken Sie doch an Ihre alte Mutter“, habe der Mann in eindringlichen Worten gesagt. Da habe er Angst um seine Mutter bekommen, gedacht, die Männer könnten ihr etwas antun, wenn er auf der Arbeit ist. „Da habe ich natürlich das Geld besorgt und bezahlt“, erklärt der 64-Jährige. Eine Quittung oder eine Rechnung habe er nicht erhalten. Die restlichen Arbeiten oder die versprochene Schnittgutbeseitigung seien ebenfalls nicht erledigt worden, so Bachinger.
Nach der düsteren Erfahrung hat Gerald Bachinger die Polizei eingeschaltet, eine Strafanzeige gestellt. Die Polizei hat ermittelt, abschließend ist nach Aussagen Rothardts das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Lüneburg „endabgegeben worden“. Doch die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren wieder eingestellt, zeigt sich Gerald Bachinger sichtlich gefrustet.
Die BZ hat recherchieren können, dass ein Herr oder Frau Krüger unter besagter Adresse in Munster kein Gewerbe angemeldet hat. Ein Besuch der auf dem Werbeblatt angegebenen Anschrift offenbart, dass dort ein Herr Krüger nicht bekannt ist. „Den Krüger gibt es hier nicht, das ist ein Fake“, bestätigt der Mitarbeiter eines unter der Adresse ansässigen Lotto-Geschäfts den Verdacht der BZ. Der Mitarbeiter ist nach eigenen Aussagen schon wenigstens dreimal von Krüger-Kunden nach dem Mann gefragt worden. Damit steht fest, dass Bachingers nicht allein geprellt worden sein dürften, der Abzockunternehmer schon mehrfach zugeschlagen haben dürfte.
Werbeblatt ist „Urkunde“ im Sinne des Strafrechts
Die Indizien sprechen dafür, dass das strafbare Auftreten der Täter gewerbsmäßig erfolgt. „Eine gewerbsmäßige Urkundenfälschung kommt in Betracht“, schätzt etwa Rechtsanwalt Frank Speer aus Soltau den Fall ein. Er ist viel mit Strafrecht befasst. Das Werbeblatt mit der falschen Adresse sei eine „unechte Urkunde“ im Rechtssinne, das eröffne eine zusätzliche Strafbarkeit im Sinne der gewerbsmäßigen Urkundenfälschung nach Paragraf 267 des StGB. Mit Betrug habe man es sowieso zu tun. „Das Herumlaufen im Haus und das Fotografieren spricht zudem für die Vorbereitung eines Einbruchsdiebstahls“, vermutet der Jurist. „Da ist Vorsicht geboten“, rät Speer zur Wachsamkeit. Strafrechtler Speer sieht aber auch noch die systematische Steuerhinterziehung als relevant an. „Da sie keine Rechnungen ausschreiben, werden sie auch keine Umsatzsteuer abführen“, ist sich Speer sicher.
Der Fall Krüger ist kein Einzelfall, und manchmal gibt es auffallende Parallelen, die nur schwer einzuschätzen sind. So bietet zurzeit ein polnischer Staatsbürger von Visselhövede aus die Reinigung von Pflasterarbeiten an. Seine Werbeblätter wurden auch über diese Zeitung verbreitet. Da die BZ aber wegen der Betrugsmasche aus Munster bereits alarmiert war, hat die Anzeigenabteilung die Vorlage eines Gewerbescheins verlangt. Den, ausgestellt vom Gewerbeamt der Stadt Visselhövede, hat der Werbekunde einen Tag darauf vorgelegt, daher auch die Werbung in der Zeitung platzieren dürfen. Der Gewerbeschein ist echt, die darin genannte Adresse der Hauptniederlassung weist auf ein Gewerbegebiet in der Celler Straße in Visselhövede hin. Einen Briefkasten oder einen sonst wie nachvollziehbaren Firmensitz hat der Mann dort indessen nicht.
Wie die BZ ermitteln konnte, hat sich der polnische Staatsbürger nur für einen Monat ein sogenanntes Monteurszimmer angemietet – das wurde sofort bar bezahlt. Sein Werbeblatt, das der BZ beilag, ähnelt der des mutmaßlichen Betrügers „Krüger“ mit der falschen Munsteraner Adresse allerdings stark, ist in Teilen sogar identisch. Eines der für die Werbeaktion genutzten „Vorher-Nachher“-Bilder, die die Wirkung der Steinwäsche verdeutlichen sollen, ist identisch. Beide Werbungen locken mit einem Frühlings- beziehungsweise einem Herbstrabatt. Designaufbau und Papier sind ebenfalls ähnlich. Auch die Abwicklung bei der Zeitung war vergleichbar. In beiden Fällen haben die Werbekunden beim Verlag bar bezahlt.
Auch die Kunden der Steinreiniger werden gedrängt, bar zu zahlen. Eine Verpflichtung dazu gibt es zwar nicht, sehr wohl aber das Recht, eine Rechnung beziehungsweise einen ordnungsgemäßen Beleg vorgelegt zu bekommen, der die Firma und ihren Sitz erkennen lassen.
Eine ähnliche Masche ziehen sogenannte Wanderarbeiter ab, die von Haus zu Haus gehen, ihre Arbeitsdienste anbieten. Sie schneiden die Hecke, reinigen die Regenrinnen oder kärchern Gehwegplatten – und fordern am Ende überzogen viel Geld.
Die Polizei rät davon ab, solche Geschäfte an der Haustür abzuschließen. „Sollte der Kontakt über Flyer hergestellt werden“, regt Polizeisprecher Rothardt an, „sich über den Anbieter zu informieren oder auf bekannte Firmen zurückzugreifen.“
Ob die Bachingers ihr Geld wiedersehen, ist fraglich. Zwar überlegen sie, einen Anwalt einzuschalten, primär geht es ihnen aber um etwas anderes. „Wir wollen, dass auf die Abzocke nicht noch mehr reinfallen, die Menschen müssen doch gewarnt werden.
Verlag reagiert - Neue Regeln für Werbekunden
Die Böhme-Zeitung, in der Geschäftskunden mit ihren Dienstleistungen werben können, hat auf den Vorfall reagiert und die Regeln für Werbekunden angepasst:
Firmen, die dem Verlag nicht aus langer Zusammenarbeit bekannt sind, müssen sich durch Vorlage eines Personalausweises sowie eines Gewerbescheins ausweisen. Im Falle polizeilicher Ermittlungsverfahren können so die Werbepartner sicher identifiziert werden.
Werbepartner, die ihre Werbung in der BZ (für die BZ nachvollziehbar) genutzt haben, um betrügerisch tätig zu sein, werden von künftigen Werbemöglichkeiten ausgeschlossen.
Werbebeilagen und großflächige Werbeanzeigen werden nur noch angenommen, sofern das werbende Unternehmen auf dem Werbebeileger/der Anzeige durch Firmen-Nennung auch zu erkennen ist. Bereits angenommende Werbeaufträge werden noch abgewickelt. bz